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wahres Zeichen

Greta Granderath




Entstanden im Rahmen der Lese-Performance This is my tail talking to you beim ARCHIPELSALON – Sonntagssalon #14 der Probebühne im Gängeviertel, ARCHIPEL, August 2016.

Sie winkte nicht; sie machte mit der Hand ein Zeichen für Ende. Ingeborg Bachmann: Undine geht

bronzen blickt sie in Richtung Festland
und Festung (Europa)

der Künstler (Edvard, 37) setzte das Gesicht
einer Primaballerina (Ellen, 35)
auf den Körperbau seiner Frau (Eline, 33)

Patina als Beweis: Alter ist unsterblich
und Geschlecht hat Recht

ihr Körper ist Kopie mit zu hohem BMI: 112 (starkes Übergewicht)
das Original wird von Edvards Erben
an einem unbekannten Ort verwahrt (Stockholm-Syndrom)

sogar schon kopflos saß sie da
die Hand schützend im Schoß (der keiner ist)
feuchtes Mädchen mit Schwanz und ohne Zunge
sprechende Augen schauen auf
Besitzansprüche perlen barbusig an ihr ab
wenn sich das Wetter an ihr vergeht
legt jedermann Begehren in ihren Blick
(steigt auf wie Luftblasen)
legt jedermann ihr Worte in den Mund:

My name is Arielle
I lost my tail.
And this is my tongue
talking to you.

My name is Arielle.
I lost my tongue.
And this is my tail
talking to you.

das alte Lied: Sirenengesang als Währung
der seelenlose Singlefrau
Initiation als Stimmverlust
Beseelung mit der Zunge bezahlen

der blaue Blick singt ein Leid davon
ihr Körper schließt seine Münder
Augen werden ihm geöffnet
Beine gemacht (ein Hexenwerk)

weltweit kursieren Selfies
von ihrem Schmerz und Schwanz
zum Vergleich: nicht Fisch nicht Frau (ruhiggestellt)

im Bäderland bieten sie Menschenkindern Verwandlung an
nehmen es genau: sprechen von Kursen
für Meerjungmann und -frau
wer länger die Luft anhält
dem sieht man das jahrelange Training nicht mehr an

Frau tut was Mann kann: ins Wasser gehen
aufsteigen zum Meeresspiegel (gläserne Decke)

Unsterblichkeit ist menschlich
aber bedenke Meer, dass du Schaum bist
und zum Schaum zurückkehrst

so überlebt sie namenlos
am Rande des Hafens überlebensgroß
das kleinste Wahrzeichen der Welt

auf ihren Schultern lastet Luft

»Ich weiß schon was Du willst!« sagte die Meerhexe; »es ist zwar dumm von Dir, doch sollst Du Deinen Willen haben, denn er wird Dich ins Unglück stürzen, meine schöne Prinzessin. Du willst gern Deinen Fischschwanz los sein und statt dessen zwei Stützen gleich wie die Menschen zum Gehen haben, damit der junge Prinz verliebt in Dich werden möge, und Du ihn und eine unsterbliche Seele erhalten kannst!« Dabei lachte die Hexe widerlich, sodass die Kröte und die Schlange aus ihrem Haar auf die Erde fielen, wo sie sich wälzten. »Ich werde Dir einen Trank bereiten,« sagte die Hexe ,, […] Du behältst Deinen schwebenden Gang, keine Tänzerin kann schweben wie Du, aber bei jedem Schritt, den Du machst, ist Dir, als ob Du auf scharfe Messer trätest, als ob Dein Blut fließen müßte. Willst Du alles dies leiden, so werde ich Dir helfen!« »Ja!« sagte die kleine Seejungfrau mit bebender Stimme, und gedachte des Prinzen und der unsterblichen Seele. […].
»Aber wenn Du meine Stimme nimmst,« sagte die kleine Seejungfrau, »was bleibt mir dann übrig?« »Deine schöne Gestalt,« sagte die Hexe, »Dein schwebender Gang und Deine sprechenden Augen, damit kannst Du schon ein Menschenherz bethören. Nun, hast Du den Mut verloren? – Strecke Deine kleine Zunge hervor, dann schneide ich sie an Zahlungs Statt ab, und Du erhältst den kräftigen Trank!« »Es geschehe!« sagte die kleine Seejungfrau […].
Aus: Die kleine Meerjungfrau von Hans-Christian Andersen, 1837.

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